Vor 100 Jahren begab sich die Ukrainische Republikkapelle unter der Leitung von Oleksandr Koschytz` auf die Weltreise durch Europa und die USA. Mit im Gepäck hatten sie ein Werk, das zu einem wahren Hit geworden ist. Dieses Werk wird zum Symbol für Weihnachten werden und Kontinente vereinen, es wird in verschiedenen Sprachen erklingen und die ukrainische Nation mit Stolz erfüllen. Die Chorsänger hatten im Gepäck den „Schtschedryk“, ein altes Lied in der talentierten (oder besser genialen) Bearbeitung des Komponisten Mykola Leontowytsch.
Am 13. Dezember 1877 im Dorf Monastyrok (zu dt. „Klösterchen“, Anm. Übersetzung) kommt der zukünftige Komponist Mykola Leontowytsch zu Welt. Jahre später wird er zum Musiker, adoptiert ukrainische Volkslieder für den Chorgesang und er wird es ohne Übertreibung genial machen.
In seiner Familie gab es Musiker und Priester. Der junge Leontowytsch denkt anfangs auch daran, den Berufsweg eines Priesters einzuschlagen, er geht in die geistliche Lehre und später in das geistliche Seminar in Kam`janetz`-Podils`k. Dort beherrsch er die Kunst der Musik, spielt viele Instrumente, erlernt das Dirigieren. Dennoch beschließt er kein Pfarrer, sondern ein Musiklehrer zu werden. (Anmerkung der Übersetzung: ukrainische Priester dürfen heiraten). Leontowytsch unterrichtet Gesang und leitet den Chor in der Priesterakademie.
Die Geschichte von „Schtschedryks“ und von „Carol of he Bells“
Doch es fehlt dem Chor an Partituren. Deshalb widmet sich Leontowytsch der Bearbeitung der Volkslieder. Und obwohl er in diesem Bereich keine spezielle Ausbildung hatte, erreicht er darin großartige Ergebnisse. Jahrelang nimmt er Unterricht bei dem damals berühmten Musiker Boleslaw Jaworskij.
Bei seinen Forschungen entdeckt Leontowytsch 1904 den Text des alten Ritualliedes, das noch aus den vorchristlichen Zeiten stammte, wo die Neujahrsfeier am 1. März stattfand.
Leontowytsch`s Zeitgenossen erzählen, er mache sich an das Lied ran in dem Bestreben, die ukrainische Folklore in Rahmen seines Unterrichts mit Jaworskij wieder aufleben zu lassen.
Um aus ein Paar sich wiederholenden Noten ein Meisterwerk zu erschaffen, benötigt der Komponist Jahre. Er verändert sofort etwas, korrigiert, immer auf der Suche nach der idealen „Rezeptur“ seines „Schtschedryks. Im Endeffekt entwickelt er gar fünf Varianten des Werkes.
1916 – der Chor der Kyiwer Universität singt den „Schtschedryk“ zum ersten Mal, das Lied wird sofort zu einer musikalischen Sensation.
1918 – die Ukrainische Volksrepublik erklärt ihre Unabhängigkeit.
In dieser Zeit versucht Simon Petliura (Staatsoberhaupt der Ukrainischen Republik) die Ukraine im Ausland zu präsentieren, ihre Einmaligkeit und Originalität zu zeigen, die internationale Anerkennung der Ukraine zu erreichen in ihrem damals schon aktuellen Kampf mit der russischen Propaganda.
Genau zu diesen Zwecken begibt sich der Dirigent Oleskandr Koschytz` zusammen mit der Ukrainischen Staatskapelle auf ein Tournee durch Europa und USA.
Auf diese Idee bringen das Staatsoberhaupt die musikalischen Werke des Komponisten Mykola Leontowytsch. Als er bei einem Konzert sein Werk „Die Legende“ (Das Poem des Dichters Mykola Woronyj) hört, beschließt er die musikalischen Schätze der Ukraine der Welt zu zeigen.
Februar 1919, Kyiw – einen Tag vor der Besatzung der Stadt durch die Bolschewiken (später Sowjets genannt) wird die Kapelle nach Kam`janetz`- Podilsk evakuiert. Ein Drittel der Mitglieder der Kapelle begibt sich dorthin. (der Rest der Chormitglieder bleiben aus familiären Gründen in der Hauptstadt, Anm. Übersetzung, genauer in Tina Peresun`ko…).
März 1919, Kam`janetz`-Podils`k – nach der endgültigen Zusammenstellung der Chorbesetzung und sobald alle Texte und Partituren einstudiert wurden, begeben sich die Choristen über die Stadt Stanislaw (heute Iwano-Frankiwsk) gen Europa.
Bild (Die Kapelle in Stanislaw vor der Abreise ins Ausland, das erste Foto des Chors/ ZDAVO Ukraine)
Mai 1919 – Prag. Die erste Stadt, die von dem Lied „Schtschedryk“ verzaubert wird, ist Prag. Genau hier startet das Welttournee der Kapelle. Danach bezaubert die Komposition die Herzen vieler europäischer Zuhörer. Das Lied wird wahrlich zu der Visitenkarte der Ukraine.
1922 – der Chor des Oleksandr Koschytz` tritt in Carnegie-Holl in New York City. Dieser Auftritt galt für die Kapelle als eine besondere Anerkennung.
1919-1924 – die Kapelle tritt in fast 20 Länder: darunter Tschechien und Slowakei, Österreich, Schweiz, Frankreich, Niederlanden, Belgien, Großbritannien, Polen, Deutschland, USA, Kanada, Mexiko, Argentinien, Uruguay, Brasilien und Kuba. In über 200 Städten werden über 600 Auftritte gefeiert.
Könige, Präsidenten, Minister, Diplomaten, Komponisten und Dirigenten, Arbeiter und Kriegsveteranen hören mit Begeisterung ukrainischen Liedern zu.
All diese Jahre machen die Rezensionen zum Lied „Schtschedryk“ Schlagzeilen. Die Kritiker geizen nicht mit Lob und bezeugen den Triumph des ukrainischen Liedes und der Kulturgröße schlechthin.
Erfolge, Applaus, Freude, Stolz, Anerkennung in der ganzen Welt … aber ein dunkler Schatten umfasst die Ukraine.
Rückblende: 1921 verweigern Europa und USA der Ukraine die Anerkennung der Unabhängigkeit (in der Pariser Friedenskonferenz, Anm. Übersetzung), auch wenn sie von ihrer Musik begeistert sind. Das russische Regime der Bolschewiken besetzt die Ukrainische Volksrepublik. Die Geschichte wird zeigen, dass die Besatzung lange 70 Jahre andauern wird – bis zum Zeitpunkt, als es der Ukraine 1991 gelingen wird, sich aus den Pfoten der Sowjetunion herauszuschleichen.
Nach der Besatzung 1921 ging alles standardmäßig und vorhersehbar: die Versuche der Sowjets alles Ukrainische zu vernichten oder zumindest ganz tief in die Erinnerungen der Menschen zu verstecken, Verdrehung der Tatsachen, damit sich niemand an die ukrainische Staatlichkeit erinnert.
Am 23. Januar 1921 erschießt ein Agent des russischen Geheimdienstes den Komponisten Mykola Leontowytsch (im Haus seiner Eltern. Diese schauen dem Sterben des Sohnes gefesselt zu. Die Umstände und Auftragsgeber des Mordes werden in den Archiven unter Verschluss gehalten. Anm. Übersetzung) Die ukrainischen Bürger werden jahrelang damit abgespeist, dass der Mord „ein Zufall“ war.
Am selben Tag tritt die Ukrainische Kapelle im berühmten Pariser Theater … auf. Die Kritik der Presse: „Die Perfektion (der Werke) ist unbeschreiblich… mir fehlen die Worte.“ (La Press); „Das ist eine der interessantesten Erscheinungen in Paris in diesem Jahr“ (Journal Des Debats); „Es ist so, als würde sich das Volk äußern. Als würde es zu unserem Volk sprechen.“ ( L`Humanite)
1936, USA – aus „Schtschedryk“ wird „Carol of the Bells“. Der amerikanische Autor der Adaptation und des Textes, der Dirigent ukrainischer Abstammung Peter Wilhoutsky kreiert für den Symphonieorchester des NBC Radios die englische Version des Liedes.
Die wörtliche Übersetzung des Liedes wäre für die Amerikaner wohl unverständlich gewesen, daher verändert Wilhoutsky den Text. Er erzählte, die Komposition erinnert ihn an das Glockenspiel, deswegen nimmt dieses Motiv die zentrale Rolle in der englischen Version ein.
Das Werk wird in dem Musikverlag Carl Fisher publiziert, als Autor wird Mykola Leontowytsch angegeben.
Drei Jahre zuvor, 1933 – der Dirigent und Musiklehrer Max Kron bringt ein Lied „The Bluebirds“ heraus – ein Lied mit der Melodie von „Schtschedryk“ und dem Text, der sehr nahe an der ukrainischen Version ist. Denn bluebird ist ein Vogel, der einer Schwalbe sehr ähnlich ist. Obwohl das Lied früher als „Carol of the Bells“ erscheint, bekommt es nicht die Popularität, wie es bei „Carol of the Bells“ der Fall ist.
2015 – der ukrainisch-amerikanische Bandura-Spieler (Bandura ist eine Art ukrainische Harfe, Anm. Übersetzung) Marko Farion stellt die Erstaufnahme von „Schtschedryk“, datiert mit 1922 ins Netz.
Video zur Erstaufnahme.
Autorin: Natalia Bodnar
Übersetzung: Olga Bodnar